Showdown in Niedersachsen

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Dieser Tage werden landauf, landab Schulzeugnisse verteilt. Viele Jahre des Lernens wurden in den Prüfungen auf ein paar wenige Tage heruntergebrochen, an denen sich dann die Abschlussnote orientiert. Nichts anderes erwartet aktuell die Handballer des TuS Ferndorf. 32 Spiele in der Saison 2023/24 sind nun absolviert. 31 Spiele haben die Jungs vom Kindelsberg siegreich gestaltet. Nur einmal wurden die Punkte geteilt. Doch all das zählt in den nun anstehenden Duellen gegen den Nord-Ost-Staffel-Ersten aus Braunschweig nicht. Eine ganze Saison, die bislang in einer Dominanz gelebt wurde, wie es sie in den dritten Handballligen Deutschlands wohl selten gegeben hat, wird reduziert auf zwei Spiele. 120 Minuten Handball, die das verrückte Handballdorf aus dem Siegerland noch von der Zweitklassigkeit trennen. 120 Minuten, in denen die Michel & Co. sicherlich noch einmal an ihre Schmerzgrenze, und wahrscheinlich sogar darüber hinaus gehen werden. 120 Minuten, an denen sich die Abschlussnote für eine ganze Saison orientiert.

Und der MTV Braunschweig, für viele doch etwas überraschend Staffelsieger im Nord-Osten, ist der letzte Gegner, den es für die Mannen von TuS-Coach Ceven Klatt aus dem Weg zu räumen gilt. Nicht der traditionsreiche HC Empor Rostock – den hat Braunschweig auf Platz Zwei der Staffel verwiesen. Und auch nicht der mit hohen Ambitionen in die Aufstiegsrunde gestartete, ehemals langjährige Zweitligist aus Emsdetten – den hat Braunschweig in zwei hochdramatischen Spielen in der ersten Play-Off-Runde geschlagen. Nein, der MTV Braunschweig, unter der Leitung von Deutschlands Trainer der Saison 2002/03 Volker Mudrow, ist die letzte Hürde für die TuS-Equipe. Und die hat es in sich. Klatt, der intensives Videostudium betrieben hat, weiß zu berichten: „Braunschweig bedient sich über fast sechzig Minuten des Stilmittels Sieben gegen Sechs und zwingen den Gegner zu fast sechzigminütiger Unterzahl. Zudem stellen sie eine sehr gute 5:1 Abwehr, die, den Gegner immer wieder zu Fehlern zwingt!“ Weiter führt der Meistercoach aus: „Mudrow und Krause initiieren jeden Angriff.“ Und mit Mudrow meint Klatt keineswegs den Coach. Denn der hat einen 17-jährigen Sprössling, der neben inzwischen illustren Namen wie David Späth, Renars Uscins, Justus Fischer und Nils Lichtlein zum DHB-Elitekader gehört. Erst im März 17 geworden, war der Trainersohn schon mit sechzehn Lenzen Dreh- und Angelpunkt des Drittligisten aus Niedersachsen. Während die von Klatt genannten Spieler die Angriffe initiieren, sind die Hauptabnehmer sehr unterschiedlich. Aus dem Rückraum ist es vornehmlich Tim Otto der den Abschluss sucht. Neben dem wurfgewaltigen Otto gibt es aber noch zwei Spieler, die sich indes auch für die meisten Braunschweiger Tore verantwortlich zeichnen. Der sehr gegenstoßorientierte Bela Pieles auf Linksaußen und der 38-fache argentinische Nationalspieler Nikolaos Tzoufras am Kreis. Wobei die vielen Tore über den Kreis der bereits beschriebenen Spielweise des Taktikfuchses Mudrow geschuldet sind. Und diese Spielweise wird den ein oder anderen mit der Zunge schnalzen lassen, währenddessen andere, aus Verzweiflung dass ein 7:6-Spiel kein echter Handball sei, die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Doch der Coach der Gastgeber ist wahrlich kein Unbekannter, wenn es um die Umsetzung von neuen Ideen im modernen Handball geht. Bereits 2002/03, in der Meistersaison mit dem TBV Lemgo, bediente sich der heutige Braunschweiger Coach der schnellen Mitte, die damals kein Verein so perfekt inszenierte wie die Mudrow-Mannen. „Braunschweig war 25 Spiele in Folge ungeschlagen und hat Emsdetten beeindruckend besiegt“ spricht Klatt mit großem Respekt vor der Saisonleistung der Männer aus Niedersachsens zweitgrößter Stadt.

Es war ein Spiel, über dessen Verlauf in und um Kreuztal noch sehr lange gesprochen wird. Das Rückspiel der ersten Play-Off-Runde gegen Oppenweiler/Backnang hielt so ziemlich alles parat, was das Handballherz begehrt. Nach der Verletzung Julius Fangers aus dem Hinspiel lastete die Hauptlast des Spielorganisators auf dem Alt-Internationalen Janko Kevic. Als dieser nach dreieinhalb Minuten die rote Karte bekam, brauchte das Team zwar einige Minuten um sich auf die neue Situation einzustellen. Was die Michel & Co. dann aber zwischen der 20. und 40.Minute abgerissen haben, war ein Paradebeispiel für Willenskraft, Emotionalität & Leidenschaft. Einzelne Spieler hervorzuheben ist unmöglich, da die Teamleistung so überragend war. Einer hat für den anderen gekämpft. Jede gelungene Abwehraktion wurde von Team und Zuschauern bejubelt. Das Ganze hat allen Beteiligten großen Spaß bereitet. Der Trainer gibt dazu einen kleinen Einblick in den Auftakt der Trainingswoche: „Natürlich haben wir den Moment genossen. Und natürlich haben wir versucht, die positive Stimmung mit in die neue Woche zu transportieren.“ Und in der Spielvorbereitung auf das erste Play-Off-Endspiel liegt der Fokus wieder ganz klar auf den Dingen, die den TuS Ferndorf anno 2024 auszeichnen: Die hundertprozentige Bereitschaft im Abwehrverbund zu verteidigen. Und das schnelle Umschalten bei Ballbesitz, um im Angriff zu möglichst einfachen Toren zu kommen. Schaut man auf die Torschützenliste der Aufstiegsrunde, so kommt man an dem Mann auf Platz Eins nicht vorbei. Marvin Mundus befindet sich in einer blendenden Verfassung und war in beiden Spielen gegen Oppenweiler bester Torschütze. Ein Spieler ist indes in den letzten vier Monaten kaum in Erscheinung getreten. Februar-Neuzugang Ante Simic hatte während der Saison meist nur Kurzeinsätze zu verzeichnen. Doch sein Coach glaubte an ihn und wurde nicht enttäuscht. Nach Fangers Verletzung und Kevic-Rot war der 2-Meter-Hüne gefordert. Simic lieferte – und wie ; neben vier selbst erzielten Toren setzte er auch immer wieder seine Nebenleute in Szene. So harmonierte er zum Beispiel auch mit den beiden Kreisläufern Valentino Duvancic und Kapitän Mattis Michel, die ihrerseits nicht nur im Angriff glänzten, sondern auch im Innenblock wieder einmal wertvolle Abwehrarbeit verrichteten. 

Doch all das ist Vergangenheit. Was zählt ist die Gegenwart. Und die heißt ab Samstagabend 19:30 Uhr Braunschweig. Der TuS Ferndorf hat wieder einen Bus gechartert, in dem es noch einige wenige Restplätze gibt. Rund einhundert Ferndorfer werden die 350 Kilometer lange Reise auf sich nehmen und ganz sicher wieder für ein Spektakel sorgen. Oppenweiler/Backnang hat solch einen Auswärtssupport wie im Play-Off-Hinspiel unter Umständen noch nie gesehen. Und auch für das Match in Niedersachsen haben sich die Fans wieder einiges einfallen lassen. Unter anderem steht das Motto „Alle in Rot“ auch weiterhin über allem. Auch zum Rückspiel in der kommenden Woche soll die Stählerwiese wieder eine rote Wand bilden. Zu diesem Spiel beginnt der freie Vorverkauf am Freitagnachmittag um 17 Uhr. Wer dann in der kommenden Woche dabei sein will, muss schnell sein. Dabei sein ist das Stichwort – ob live vor Ort, im Stream auf Sportdeutschland.tv oder im Herzen ; für alle TuS-Fans gilt am Samstagabend wieder das Motto: Scream for your team – mit der #familieferndorf, mit der #familietus !


WISSENSWERTES
Gegner: MTV Braunschweig
Heimspielstätte: Sporthalle Alte Waage (1250 Plätze)
Einwohner Braunschweig: 252.000 (zum Vergleich: Ferndorf = 3.900)
Trikotfarbe: rot / schwarz
größter Erfolg: 1986-1988 Handball-Zweitligist

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