Es müssen zentnerweise Steine gepurzelt sein bei all denen, die es mit dem TuS Ferndorf halten. Von einem „Pflichtsieg“ hatte selbst TuS-Coach Ceven Klatt im Vorfeld gesprochen. Und ein Blick auf die Tabelle dieser verrückten zweiten Liga ließ auch keinen anderen Schluss zu. Der Tabellenvorletzte aus Hagen hatte gewonnen, und damit war das Feld der abstiegsbedrohten Teams noch einmal enger zusammengerückt. Zwischen dem nun Tabellenachten aus dem nördlichen Siegerland und dem neuen Tabellenvorletzten VfL Lübeck-Schwartau, und somit dem zweiten Abstiegsplatz neben dem sehr wahrscheinlichen Absteiger aus Konstanz, liegen gerade einmal drei Punkte. Drei Punkte, die tabellarisch sage und schreibe zehn Teams voneinander trennen. Ein Tabellen-Mittelfeld scheint es in dieser Saison nicht zu geben.
Eine Garde aus der sauerländischen Karnevalshochburg Attendorn eröffnete den Sonntagnachmittag und sorgte schon vor Anpfiff für beste Stimmung unter den 1302 Zuschauern im nicht ganz ausverkauften Hexenkessel Stählerwiese. Marvin Mundus, inzwischen wieder bester Torschütze im Team des TuS, eröffnete den Torreigen mit dem 1:0. Endlich einmal zeigten sich die Michel & Co. von Beginn an hellwach und sorgten so für einen Start nach Maß und zum ersten Mal für Partystimmung in der Stählerwiese. Die Jungs vom Kindelsberg wollten sich, nach der unglücklichen Niederlage in Großwallstadt, nun auch für den Aufwand belohnen. Gabriel Viana schnürte einen spektakulären Doppelpack zum 5:2 und 6:2 in der 10. Minute. Ein tolles Anspiel Daniel Hidegs, der seinen Vertrag um ein weiteres Jahr verlängert hat, auf den Kapitän Mattis Michel mündete im 7:3 (11.). Große Aufregung dann in der 14.Minute, als der Ex-Ferndorfer Nikita Pliuto sich bei einer Abwehraktion die linke Schulter auskugelte. Der wichtige Innenblocker im Konstanzer Abwehrverbund wurde unter großem Applaus der Zuschauer, von Sanitätern gestützt, vom Spielfeld geführt. Schwierige Situation für alle Beteiligten, danach den Fokus wieder auf das Spiel zu lenken. Can Adanir, überragender Ferndorfer in der Vorwoche, hielt in der 15. Minute einen Siebenmeter und im Angriff verwandelte Michel artistisch vom Kreis. Doch die Konstanzer schienen sich nun noch mehr für ihren Mitspieler Pliuto zerreißen zu wollen und verkürzten von 9:5 auf 9:8 (17.). Und wirklich absetzen konnte sich die TuS-Equipe nun nicht mehr. Im Gegenteil – bei 14:14 in der 26. Minute konnte der Tabellenletzte das erste Mal nach dem 2:2 das Spiel wieder remisieren. Angetrieben von einem halben Dutzend Konstanz-Fans, die ihr Team über sechzig Minuten vorbildlich unterstützten, legten die in Gelb gekleideten Bodensee-Städter sogar noch einen drauf und gingen durch einen ihrer Besten, Felix Sproß, mit 14:15 in Führung. Doch eben dieser Sproß ging in der darauffolgenden Szene ein zu hohes Risiko gegen den wurfwilligen Josip Eres. Im Kreis und in der Bewegung verletzte er Eres, woraufhin ihm die gut leitenden Schiedsrichter die rote Karte unter die Nase hielten. Nach Pliuto der nächste Ausfall eines wichtigen Spielers für die Konstanzer, die sich im Anschluss aber trotz Unterzahl mit einem 15:15 in die Pause retteten. Wieder einmal zu viele Gegentore für den Abwehrverbund, der letzte Saison noch das Paradestück der Siegerländer war.
Nach der Pause übernahm Jonas Wilde den Part im Ferndorfer Kasten von Adanir. Zudem kam Februar-Neuzugang Malte Nolting als Stabilisator in der Abwehr hinzu. Und Julius Fanger, der unter der Woche mit grippalen Symptomen zu kämpfen hatte, stellte sich auch in den Dienst der Mannschaft. Und während Wilde den ersten Ball zu packen bekam und am Ende auf eine tolle Quote von 40% kam, waren vor allen Dingen Fanger und Nolting Gamechanger. Nolting verlieh dem Abwehrverbund die dringend benötigte Stabilität, und Fanger gab dem Angriff die in Halbzeit Eins noch fehlende Tiefe. „Gegen ein im Aufwind befindliches Konstanz hatten wir dieses schwere Spiel erwartet. In der zweiten Halbzeit spielen wir eine gute Abwehr, wo uns Malte Nolting hilft sowie die Tatsache, dass wir Konstanz keine leichten Würfe mehr gegeben haben“, war Klatt nun auch mit der an den Tag gelegten Emotionalität seines Teams einverstanden. Was Gästecoach Vitor Baricelli natürlich nicht so gerne sah: „Ferndorf spielt in Hälfte Zwei eine sehr gute Abwehr. Wir agieren dann zu oft in Unterzahl. Und dann fehlen uns auch noch zwei wichtige Innenblock-Spieler!“ Mister Effektivität, Kapitän Mattis Michel, zeigte ungewohnte Schwächen in der Chancenverwertung. Unter anderem auch deshalb kamen die Rot-Weißen ergebnistechnisch nicht vom Fleck. Über 17:17 (35.) und 19:19 (40.) war es Goalgetter Mundus vorbehalten, mit einem Kracher aus rund zehn Metern für die 22:20 Führung in der 45.Minute zu sorgen. Doch wirklich flüssig lief es im Angriff der Gastgeber immer noch nicht. Klatt probierte es mit vier Rückraumspielern, was aber auch nicht zu nachhaltigem Erfolg führte. Dass Viana portugiesisches Blut in seinen Adern hat, konnte die Halle dann nach seinem Tor zum 24:22 (51.) sehen. Mit einem von den Lippen leicht ablesbarem „Vamos“ lief der Linksaußen nach seinem Tor zurück und nahm somit auch die Halle nochmal in die Pflicht. Doch das war gar nicht nötig, denn über die volle Distanz war auch den Zuschauern die Bedeutung des Spiels anzumerken. In den wichtigen Momenten war der Hexenkessel da und unterstützte die Rot-Weißen. Gäste-Coach Baricelli nahm in der 53. Minute seine dritte Auszeit und versuchte noch einmal gegenzusteuern. Doch der TuS hatte den Flow und wusste diesen auch zu nutzen. Dem umsichtig Regie führenden Janko Kevic war es in der 57. Minute vorbehalten, mit dem 28:25 für eine Vorentscheidung zu sorgen. Immer wieder eine Augenweide, wie der Kroate mit einer einzigen Körpertäuschung die gegnerische Abwehr auswackelt. Wildes sensationelle Parade zwei Minuten vor dem Ende war dann das endgültige Aus für die wacker kämpfenden Mannen vom Bodensee. Eres verwandelte zum Ende hin noch zwei Siebenmeter, was für den Endstand von 30:25 sorgte.
Auf die Frage in der Pressekonferenz, warum es das Team denn immer so spannend mache, meinte ein überaus gelöster Klatt, „dass die Zuschauer schließlich Eintritt bezahlt hätten“. Nicht wirklich ernst gemeint vom Aufstiegscoach, der aber noch einen nachlegte: „Die Jungs wussten, dass am Montag Training gewesen wäre, wenn am Ende eine Niederlage gestanden hätte. So haben sie am Rosenmontag frei und wir legen ab Dienstag den Fokus auf das Nettelstedt-Spiel am kommenden Samstag.“ Und genau da wo der TuS Ferndorf Ende Dezember, beim Auswärtsspiel bei GWD Minden, schon einmal ran musste, in der Kreissporthalle Lübbecke, da wartet die nächste Aufgabe auf die Jungs aus dem handballverrücktesten Dorf des Siegerlandes. Zwei Punkte trennen die Nettelstedter vom TuS Ferndorf. Und damit ist die Brisanz des Spiels schon bestens umschrieben. Jeder Punkt wird am Ende zählen. Nicht ganz von der Hand zu weisen, dass vielleicht sogar jedes Tor wichtig sein wird. Daher zählen die Michel & Co. auch am kommenden Samstagabend um 18 Uhr auf die Unterstützung des lautstarken Ferndorfer Anhangs: Alle dabei in Liga Zwei!
Tore: Marvin Mundus (6), Josip Eres (6/2), Mattis Michel (5), Janko Kevic (4), Gabriel Viana (3), Julius Fanger, Daniel Hideg (je 2), Marko Vignjevic, Valentino Duvancic (je 1)
Fotos: H.Burbach / RGR TuS Ferndorf