Den kommenden Samstag hat jeder Fan des HBW Balingen-Weilstetten fest im Kalender notiert. Halbfinale beim FinalFour-Turnier um den DHB-Pokal in der Kölner Lanxess-Arena. Knapp zweieinhalbtausend Fans werden ihr Team nach NRW begleiten und im Anschluss an das Halbfinale geht es für rund eintausend Anhänger noch auf einem eigens angemieteten Partyschiff weiter. Ferndorfs Chefcoach Ceven Klatt hatte jedenfalls im Vorfeld der Partie die Hoffnung gehegt, dass die Gallier von der Alb, wie sich die Balingen-Weilstetter seit vielen Jahren nennen, mit dem Kopf schon in Köln sind und eventuell nicht mit einhundert Prozent auf die Aufgabe im Ligaalltag fokussiert. Doch damit sollte Klatt nicht recht behalten. Denn am Ende musste Ferndorfs Aufstiegscoach konstatieren: „Die beiden Mannschaften waren bestens aufeinander vorbereitet. Durch den guten Rückzug auf beiden Seiten hat man sich ein Stück weit neutralisiert. Sich mit einer starken Abwehr den jeweiligen Stärken aus dem Rückraum beraubt und das Tempospiel unterbunden.“
Es begann zäh in Balingens Heimstätte, die mit 2010 Zuschauern gut gefüllt war. Ein Siebenmeter-Tor auf beiden Seiten und wenige Torerfolge. Gabriel Viana schaltete bei einem Abpraller gedankenschnell und netzte zum 2:3 in der 5.Minute. In der Folgezeit spielte sich ein Spieler in den Vordergrund, der bereits beim Hinspiel geglänzt hatte – Mateusz Kornecki, ehemaliger polnischer Nationaltorwart, nahm den TuS-Jungs viele Bälle weg und stand nach einer Viertelstunde bei über fünfzig Prozent gehaltener Bälle. Da auf der Gegenseite auch Jonas Wilde im Ferndorfer Kasten immer mehr auf Betriebstemperatur kam, ging das Spiel torarm weiter. Allerdings sind drei selbst erzielte Tore nach dreizehn Minuten viel zu wenig Ertrag. „Die Entscheidung pro Jonas Wilde war ein Bauchgefühl. Er macht das richtig gut, wobei wir über die gesamte Spielzeit auch wirklich unfassbar gut verteidigen. Insbesondere Valentino Duvancic und Mattis Michel im Innenblock machen das herausragend.“ Erstes Zeichen für diesen starken Deckungsverbund, den die Jungs vom Kindelsberg stellten, war die Phase zwischen der 9. und 19.Minute. Ein einziges Tor gestattete man den Gastgebern, konnte aber im Gegenzug auch nur zwei Mal treffen, so dass ein 5:5 die Anzeigetafel zierte. Das Kreisläuferspiel beim TuS lahmte, auch, weil die Rückraumspieler mit ihrer eigenen Performance zu kämpfen hatten. Nach 24 Minuten stand gerade einmal ein klassisches Rückraumtor beim TuS auf dem Spielberichtsbogen. Heim-Coach Flohr nahm eine Auszeit und mahnte die Seinen an, „den Reset-Knopf zu drücken und wieder Handball zu spielen“. Hideg traf 60 Sekunden vor Schluss ins leere Balinger Tor und stellte auf 8:8. Das, was man im modernen Handball eigentlich nicht mehr schafft, nämlich eine komplette Minute mit dem letzten Angriff der Halbzeit runterzuspielen, gelang den Gastgebern. Und es war ein Indiz dafür, was Klatt nach Spielende ansprach, als er von „zweierlei Maß bei der Beurteilung des Zeitspiels“ sprach.
Mit einem 9:8 für die Heim-Sieben ging es in die zweiten dreißig Minuten. Und der Beginn hatte es in sich. Klatt ging erhöhtes Risiko mit der Variante der vier Rückraumspieler. Und während die in Blau-Rot gekleideten Gastgeber in der 34.Minute den insgesamt dritten Siebenmeter verwarfen, schlug das Pendel mehr und mehr in Richtung der Siegerländer. Hendrik Stock mit gutem Einläufer und Wilde mit einem Wurf ins verwaiste Balinger Tor, sorgten beim 9:10 für die erste Ferndorfer Führung seit dem 2:3 in der 5.Minute. Der zuvor kritisierte Rückraum des TuS funktionierte im neuen System wesentlich effektiver. Als Marvin Mundus artistisch zum 9:12 netzte, bat Flohr die Seinen zur Auszeit. „Findet den Fokus“, gab der gebürtige Aachener seinem Team an die Hand. Doch einer der den Fokus fand, stand im Kasten der Gäste. Wilde schien für eine Viertelstunde lang fast unüberwindbar. Zwei Tore gestattete der weiterhin famos arbeitende Ferndorfer Abwehrverbund dem Tabellenvierten. Man war früh genug an den Balinger Angreifern dran, schloss mit einer gut verschiebenden Abwehr perfekt die Lücken und pushte sich gegenseitig. Und dann war da ja auch noch Wilde. Als Stock in der 44.Minute, mit einem wahren Kraftakt, zum 11:14 traf, schien es wahrhaftig möglich, die Rückfahrt mit etwas Zählbarem im Gepäck anzutreten. Klatt sprach im Nachgang aber von „dem Moment, der das Spiel entscheidet“. Gemeint waren gleich mehrere Szenen rund um die 45.Minute. Denn während weiterhin fehlerhaft agierende Gastgeber Chancen auf dem Silbertablett servierten und zwischendurch auch noch ihren vierten Siebenmeter verwarfen, wussten dass die Ferndorfer im Angriff nicht wirklich zu nutzen. Wilde war weiterhin im Spiel und gab seinen Vorderleuten Chance um Chance wegzuziehen. Da diese das nicht zu nutzen wussten, kam nun mit den Balinger Toren, und dem Ausgleich zum 15:15, auch die Halle wieder zurück. Zwischendurch hatten die Michel & Co. es wahrhaftig geschafft die „Hölle Süd“ leise zu spielen. Jetzt waren auch die Zuschauer wieder ein Faktor. Kopf an Kopf ging es in die Crunch-Time. Beim 17:16 (53.) konnten die Gastgeber erstmals seit dem Pausenpfiff wieder in Führung gehen. Einmal gelang Josip Eres noch der erneute Ausgleich zum 17:17. Doch in den letzten fünf Minuten gingen beim HBW Bälle vom Innenpfosten ins Tor, während bei den TuS-Jungs der Ball von der Unterkante der Latte wieder raus sprang. „Ferndorf hätte durchaus einen Punkt verdient gehabt“ – Flohr war in der Gesamtbewertung fair genug anzuerkennen, dass der Aufsteiger eine famose Leistung in der Mey Generalbau Arena abgeliefert hatte. Die fehlende Effizienz vor dem gegnerischen Kasten kostete hinten raus den angesprochenen Punktgewinn. 21:18 stand es am Ende und der TuS konnte sich für eine wahrhaftig starke Auswärtsleistung nicht belohnen.
Fehlendes Spielglück und auch der ein oder andere Pfiff, den eine favorisierte Heimmannschaft gegen einen Underdog bekommt, bringen die Michel & Co. um ein weiteres Erfolgserlebnis. Doch davon wollen sich die Rot-Weißen nicht unterkriegen lassen. „Wunden lecken, ausruhen und dann ab Montag voller Fokus auf Dessau“ – Klatt bricht es auf elf Wörter herunter, was nun angesagt ist. Und am kommenden Freitagabend um kurz vor 20 Uhr wird Ferndorfs Hallensprecher Kai Brückmann wieder dafür sorgen, dass der Hexenkessel von der ersten Minute an angezündet ist. Die Spieler haben zuletzt ein ums andere Mal den Funken vom Spielfeld auf die Tribüne überspringen lassen. In 2025 ist der TuS Ferndorf zu Hause ungeschlagen. Damit das so bleibt, bauen die TuS-Jungs auch wieder auf eine gut gefüllte Stählerwiese. Dann heißt es am Freitagabend wieder: Alle dabei für den Klassenerhalt in Liga Zwei!
Tore: Josip Eres (4/1), Gabriel Viana (3), Julius Fanger, Daniel Hideg, Janko Kevic, Hendrik Stock (je 2), Fabian Hecker, Marvin Mundus, Jonas Wilde (je 1)
Fotos: T. Adanir