Um die komplette Klaviatur des Schauspiel-Genres zu bedienen, braucht es mehrere Akte. Drama, Action, Krimi – das dauert viele Stunden, resp. viele Aufführungen. Oder aber man schaut sich ein Spiel des TuS Ferndorf in der Kreuztaler Stählerwiese an. Da bekommt man all diese Dinge in sechzig Spielminuten geliefert. Inklusive der großen Romanze zwischen Publikum und Mannschaft am Ende der Vorstellung. Und um dem ganzen die Krone aufzusetzen: Hätten wir heute schon den 7.Dezember, stünde in der Wuppertaler Uni-Halle das Duell des Tabellenführers gegen den Tabellenvierten an. Es ist der absolute Wahnsinn, was die TuS-Equipe aktuell zu leisten im Stande ist.
Wer nur das Endergebnis vom Sonntagabend sieht, wird die Worte von Ferndorfs Coach Ceven Klatt zu den ersten dreißig Minuten etwas stirnrunzelnd zur Kenntnis nehmen: „Die Eulen haben mehr von Hälfte Eins, da wir viele Dinge in der Abwehr nicht so gesteuert bekamen, wie war das gerne gehabt hätten. Zudem machen wir viel zu viele technische Fehler!“ Dabei ging es gut los in Kreuztals bester Stube. 1.323 Zuschauer sorgten wieder einmal für Gänsehaut-Atmosphäre und die Rot-Weißen gingen durch Josip Eres, der am Ende ein Extra-Lob vom Trainer erhielt, und Janko Kević in Führung. In der Abwehr kämpften die Jungs vom Kindelsberg um jeden Ball, und auch Can Adanir im Kasten war von Beginn an im Spiel. Doch nach der sechsten Minute ging erst einmal nicht mehr viel zusammen bei den Jungs aus dem handballverrücktesten Dorf des Siegerlandes. Aus dem 2:0 machten die Eulen Ludwighshafen, über 2:5 (11.), ein 5:9 in der 18.Minute. Nur eine Zeigerumdrehung weiter hatte Klatt genug gesehen – Auszeit und Neujustierung. Denn die Eulen waren von ihrem Chefcoach Johannes Wohlrab perfekt eingestellt. Und das, obwohl die Gäste auf ihren Top-Torschützen Mex Raguse verzichten mussten. Dafür verteilte sich die Last des Torewerfens auf viele Schultern. Und in der Abwehr waren die Eulen hellwach und ließen kaum Entfaltungsmöglichkeiten für das ansonsten so gute Kreisläufer-Spiel des TuS. Doch die Auszeit Klatts zeigte Wirkung. Man robbte sich wieder ein wenig heran und verkürzte auf zwei Tore. Die Gäste wechselten nun im Rückraum munter durch und auch beim TuS waren mit Geburtstagskind Julius Fanger und Fabian Hecker auf Halbrechts frische Kräfte am Werk. Nach Fangers Anschlusstreffer zum 8:10 in der 24.Minute gab es „Ereś-Time“. Tempogegenstoß, Abpraller vom Pfosten und klassisch in den langen Winkel – drei Ereś-Tore und die Gastgeber waren beim 11:12 wieder mittendrin statt nur dabei. Dass es zur Halbzeit dann 12:14 hieß, ließ die TuS-Fans keinesfalls verzweifeln. Denn wenn die Jungs um, den wieder einmal aufopferungsvoll rackernden, Mannschaftskapitän Mattis Michel eines können, dann sind es zweite Halbzeiten.
Die ersten sieben Minuten der zweiten Halbzeit verliefen allerdings nicht wirklich nach dem Geschmack des TuS-Coaches. Doch seine Umstellungen zur Halbzeit begannen ab dann Minute 37 Früchte zu tragen. Marko Vignjevic entlastete Michel in der Abwehr und Jonas Wilde löste den nicht schlecht haltenden Adanir im Kasten ab. Zudem versuchte ein höher stehender Ferndorfer Abwehrverbund die Kreuzbewegungen des Eulen-Rückraums einzudämmen. So kamen die Rot-Weißen besser in Stopfoul-Situationen und zwangen die Ludwigshafener immer wieder ins Zeitspiel. Diese Dinge, in Kombination mit einem mehr und mehr zu einem Faktor werdenden Jonas Wilde, behagten den Wohlrab-Schützlingen gar nicht. Aus einem 14:18 (35.) machten Fanger, zwei Mal Kevic und Vignjevic innerhalb von sieben Minuten ein 18:18. Der Hexenkessel war auf Temperatur. Doch damit nicht genug. In der 46.Minute war es Daniel Hideg, der den Abwehrverbund leidenschaftlich zusammenhielt, vergönnt, für die erste Ferndorfer Führung nach dem 2:0 zu sorgen. Der Hexenkessel stand kurz vor der Eruption, so dass der Gästecoach mit einer Auszeit versuchte gegenzusteuern. Kopf an Kopf ging es anschließend Richtung Crunch-Time. Und die können die Klatt-Mannen. Kevic war nun endlich Kopf und Entscheider – setzte seine Nebenleute gut in Szene und war der Mann für die wichtigen Tore. Beim 22:22 (53.) war das Spiel noch in alle Richtungen offen. Doch gute Deckungsarbeit, sogar in Unterzahl, sowie ein famos haltender Wilde, der sein Tor förmlich vernagelte, ließen das Spiel innerhalb von viereinhalb Minuten zugunsten der Heimmannschaft kippen. Nach Fangers Treffer zum 25:22 (57.) gab es kein Halten mehr in einer der lautesten Hallen der zweiten Handball Bundesliga. Die Fans erhoben sich von ihren Sitzen und trugen die Michel & Co. ins Ziel. Zum Ende hin wurde es sogar deutlich, und Vignjevic war es vorbehalten, für den Schlussakkord zum 27:23 zu sorgen. Am Ende hob Ferndorfs Erfolgscoach sogar noch einige Spieler hervor: „Gute Deckungsarbeit von Gabriel Viana und Marko Vignjeviv. Tolle Paraden von Jonas Wilde. Und auch Julius Fanger gibt uns viel Power!“
Kein Team in der 2.HBL wird den Fehler machen und den Aufsteiger aus dem Siegerland unterschätzen. Und so werden die Aufgaben nicht leichter. Als nächstes wartet am kommenden Freitag der ehemalige EHF-Cup-Sieger aus Nordhorn auf die Klatt-Mannen. Da aber aktuell 14:8 Punkte auf dem Konto der Siegerländer Handballer stehen, können die anstehenden Aufgaben auch mit etwas Gelassenheit angegangen werden. Kein Druck auf dem Kessel, unbedingt punkten zu müssen. Übrigens konnte der TuS Ferndorf das letzte Duell in Nordhorn, im April 2022, mit 20:25 für sich entscheiden. Ein gutes Omen für die anstehende Aufgabe. Und dann können hoffentlich auch die kurzfristig ausgefallenen Hendrik Stock und Philip Würz wieder mit an Bord sein, wenn es ab 20:00 Uhr am Freitagabend heißt: Alle dabei in Liga Zwei!
Tore: Josip Ereś (8/3), Janko Kević (7), Julius Fanger (5), Marvin Mundus (3), Marko Vignjević (2), Fabian Hecker, Daniel Hideg (je 1)
Fotos: H.Burbach, RGR. TuS Ferndorf