Ein Sieg des Willens und der Leidenschaft

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Die Stählerwiese in Kreuztal bleibt eine Festung. Am 18.Mai 2023 war die HSG Hanau das letzte Team, welches den TuS Ferndorf in seinem Revier schlagen konnte. „Ich hatte im Vorfeld einiges zu dieser Halle gehört. Und ich muss sagen, ja, das ist ein Hexenkessel. Und ich hoffe, dass ich nächste Saison wiederkommen darf.“ Die Worte von Großwallstadts Coach, dem Alt-Internationalen Michael Roth, waren nicht nur so daher gesagt. Auch Ferndorfs Aufstiegscoach Ceven Klatt stieß ins gleiche Horn: „Ich muss mich an erster Stelle mal bedanken für die fantastische Unterstützung am heutigen Abend!“ Und wie recht er doch hatte – war es doch ein Handballabend zum Zunge schnalzen, der all das mitbrachte, wovon Handballfans landauf, landab so schwärmen. Und keiner der 1205 Anwesenden dürfte einen Grund haben, beim nächsten Heimspiel am 5.Oktober gegen Nettelstedt-Lübbecke zu Hause zu bleiben. Ganz im Gegenteil. Eigentlich muss jeder Ferndorf-Fan noch einen Freund und/oder Nachbarn dazu animieren, auch einmal Teil dieser außergewöhnliche Atmosphäre im Hexenkessel zu sein. 

Marvin Mundus eröffnete zirkusreif den Abend. Doch im Anschluss lief so ziemlich alles gegen die Rot-Weißen, was nur gegen einen laufen kann. Die Schiedsrichter Marvin Cesnik und Jonas Konrad pfiffen absolut regelkonform, aber doch recht kleinlich. Und so bekam Valentino Duvancic nicht nur zwei technische Fehler im Angriff weggepfiffen, nein, im nächsten Angriff wurden seine Unmutsbekundungen zur Regelauslegung mit einer Zwei-Minuten-Strafe fürs Meckern bedacht. Das nutzten die Gäste aus Unterfranken, angeführt vom klug Regie führenden Kuno Schauer und dem in der Anfangsphase nur in der Abwehr eingesetzten Nils Kretschmer, um sich peu a peu abzusetzen. Beim 1:5 in der 9.Minute war Klatt bereits zu einer ersten Auszeit gezwungen. Doch das Spiel änderte sich vorerst nicht. Als Kretschmer in der 12.Minute per Siebenmeter auf 2:7 stellte, schwante dem ein oder anderen Böses. Doch Handballspiele verlaufen oft genug in Wellenbewegungen. Und so kamen die Jungs vom Kindelsberg immer besser ins Spiel und verkürzten ihrerseits auf drei Tore. Doch knapper wurde es nicht. Der Abstand pendelte sich bei drei, vier Toren ein, was sicherlich auch daran lag, dass beim 7:11  in der 20.Minute schon der dritte Ball in des Gegners Arme gespielt wurde. Max Horner, dem in der ersten Halbzeit so ziemlich alles gelang, sagte Dankeschön und stellte wieder auf fünf Tore Abstand. Erste nennenswerte Gamechanger gab es dann in der 20. und 24.Minute. Erst kam Daniel Hideg für Janko Kevic. Und dann Fabian Hecker für Marvin Mundus. Was gleichbedeutend war mit der neuen Abwehrformation Hecker, Hideg, Duvancic und Michel. Und was die Vier anschließend im Abwehrverbund arbeiteten war exzellent. Vorne wurden die sich bietenden Chancen genutzt und in der Defensive wurde leichtfüßig gearbeitet und wesentlich besser verschoben als in den 24 Minuten zuvor. Das 14:17 durch Hideg war dann ein wenig symptomatisch dafür, dass das Spielglück den Weg zurück in die Stählerwiese gefunden hatte. Der Ball war eigentlich weg, fällt Hideg aber nochmal vor die Füße. Und so schafften es die Michel & Co., den zwischenzeitlichen Fünf-Tore-Rückstand bis zur Pause auf zwei Tore zu verkürzen. Denn während Großwallstadts Rechtsaußen Maxim Schalles erstmals scheiterte, war es auf der Gegenseite Hideg, der das Spiel an sich riss und auch als Torschütze glänzte. 15:17 lautete der Halbzeitstand. „Wir haben das im Sechs gegen Sechs eigentlich gut verteidigt. Und nach der Großwallstädter Auszeit in der 24.Minute haben wir uns Stück für Stück herangekämpft. Ich habe der Mannschaft dann in der Halbzeit gesagt, dass wir gegen Dormagen 15:16 hinten lagen. Da hatte Dormagen zur zweiten Halbzeit den Ball. Nun hatten wir den ersten Angriff“, ließ Klatt nach dem Spiel einen Blick in seine Halbzeitansprache zu.

Und den vom Coach angesprochenen Ballbesitz nutzten die Siegerländer Handballer zum 16:17 Anschlusstreffer. Der erhoffte Ausgleich fiel allerdings erst beim 18:18 in der 36.Minute. Julius Fanger zirkelte den Ball artistisch auf Mattis Michel – der Kapitän, der sich im gesamten Spiel keinen einzigen Fehlwurf leistete, sorgte dann für das erste Remis nach dem 1:1. Die Phase nach dem 19:20 beschrieben die Trainer dann auf höchst unterschiedliche Art und Weise. Während Roth ohne Umschweife davon sprach, dass sie sich „dämlich angestellt haben“, schwärmte Klatt davon, dass „mein Team sich in einen Rausch gespielt hat“. Und als wäre die Stimmung nicht schon auf dem Siedepunkt, heizte Jonas Wilde sie mit weiteren Paraden nochmal an. Der Hexenkessel machte seinem Namen alle Ehre. In der Offensive war es einmal mehr Julius Fanger, der einen Tanz auf dem Vulkan vollführte. Ständig schwankend zwischen Dr. Jekyll und Mr. Hide waren die positiven Momente nun ganz klar in der Überzahl. Und in der Defensive hatte sich Jonas Wilde mit unzähligen Paraden längst in die Köpfe der Bayern gespielt. Auf Seiten der Blau-Weißen hatte man hingegen das Gefühl, dass man, wie es Roth hinterher ansprach, den vielen Verletzungen aus der Vorbereitung Tribut zollen musste, weil „vier, fünf Spieler aus schweren Verletzungen kommen“. Und je behäbiger die Großwallstädter wurden, umso leichtfüßiger agierten die Klatt-Mannen. In dieser Phase der Partie klappte auf Seiten der Gastgeber alles, während die Gäste nicht mehr zurück in die Partie fanden. Bei DYN sprachen die Kommentatoren vom Irrenhaus Stählerwiese. Klatt hatte sich im Vorfeld gewünscht, dass die Zuschauer dem Team am ungewohnten Freitagabend Hilfestellung leisten. Und wahrlich, genau so hatte sich der Coach das wahrscheinlich vorgestellt. Fünf Ferndorfer Tore mündeten in einem 24:20 (45.). Klatt hatte einige taktische Finessen ausgearbeitet, die er allesamt ins Spiel einbrachte. Wie das seine Mannen allerdings auf dem Feld umsetzten, verdient allerhöchsten Respekt. Hideg gelang unter Zeitspiel ein Kracher in den Winkel – 27:23 in der 50.Minute. Die Variante mit vier Rückraumspielern nutzte der nicht mehr zu haltende Fanger zu einem weiteren Tor. Beim 29:24 (53.) war schon eine kleine Vorentscheidung gefallen. Ob 5:1 Abwehr, 4:2 Abwehr, alle Großwallstädter Versuche, den Ferndorfer Angriffsversuchen beizukommen, scheiterten. Hideg und Michel verbuchten am Ende jeweils sieben Tore bei jeweils sieben Versuchen. Doch überstrahlt wurden alle von einem, der „nur“ 35 Minuten gespielt hatte – Jonas Wilde. Oder man sagt es auf die Art und Weise, wie es Hallensprecher Kai Brückmann ab und an macht: „Wer ist im Bilde- Jonas Wilde !“

1205 Zuschauer – und das, obwohl zeitgleich die Sportfreunde Siegen ebenfalls ein Heimspiel hatten. Eine tolle Zuschauerzahl, ein tolles Statement für den Handball in der Region. Und wie eingangs erwähnt, müsste es doch mit dem Teufel zugehen, wenn für das nächste Heimspiel diese Zahl nicht noch getoppt wird. Es ist noch ein bisschen Platz in Kreuztals bester Stube. Doch vor dem nächsten Heimspiel am 5.Oktober gegen die Ostwestfalen aus Nettelstedt, geht es für die Michel & Co. erst einmal ganz tief in den Süden. Die HSG Konstanz ist nächsten Sonntag Gastgeber. Mit 4:2 Punkten im Gepäck lässt sich eine der weitesten Fahrten der Saison durchaus entspannt angehen. Der Druck liegt auf Seiten Konstanz‘. Der TuS Ferndorf kann relativ befreit aufspielen, um den guten Saisonstart dann vielleicht sogar zu vergolden.

Tore: Daniel Hideg, Mattis Michel (je 7), Julius Fanger (4), Josip Eres (4/2), Valentino Duvancic, Janko Kevic (je 3), Fabian Hecker, Marvin Mundus (je 2), Hampus Dahlgren, Hendrik Stock (je 1)


Fotos:H.Burbach

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