Der etablierte Zweitligist aus Essen hat den Siegerländer Handballern gezeigt, dass die Bäume in der 2.HBL nicht in den Himmel wachsen. Wer auf Seiten der Nordsiegerländer geglaubt hatte, in dieser Liga auch mit nur minimal weniger Aufwand Ertrag einfahren zu können, wurde im Essener Stadtteil Stoppenberg eines Besseren belehrt. Wobei es dazu einen schönen Spruch aus dem Bereich derjenigen gibt, die den Ball nur treten können – da heißt es: „Lieber einmal 0:6 verlieren, als sechs Mal 0:1!“ Sehr wahrscheinlich hallen in der kommenden Trainingswoche auch die Worte von TuS-Coach Ceven Klatt nach, der sich in der Pressekonferenz als fairer Verlierer zeigte, aber ohne Umschweife das „undisziplinierte und viel zu fehlerbehaftete Spiel“ ansprach.
Und der Spielbeginn am Freitagabend war wahrhaftig von vielen Fehlern auf beiden Seiten geprägt. Lösungen wurden meist nur im Eins gegen Eins gefunden. Die ganz in Rot gekleideten Hausherren entledigten sich als erstes der Anfangsnervosität und räumten zwei Mal sehr schön auf die Außen ab. Da sich aber auch Gabriel Viana treffsicher zeigte und Janko Kevic ein und ums andere Mal seine Klasse aufblitzen ließ, blieben die Jungs vom Kindelsberg dran. Über 2:0 (3.), 3:4 (7.) und 5:5 (9.) wogte das Spiel hin und her. Der TuSEM aus Essen spielte lang vorgetragene Angriffe und kam an deren Ende über die Außen oder ein gewonnenes Eins gegen Eins zum Erfolg. Auf Seiten des TuS Ferndorf war der Ball oft zu schnell weg. Die Klatt-Mannen produzierten, nicht nur in dieser Phase der Partie, technische Fehler am Fließband. Es wollte einfach kein Spielfluss aufkommen. Und insbesondere die linke Rückraumposition war zu diesem frühen Zeitpunkt des Spiels quasi nicht existent bei der TuS-Equipe. Den ersten Aufreger im Spiel gab es in der elften Minute. Essens Rechtsaußen Jan Reimer traf unbedrängt TuS-Keeper Can Adanir im Gesicht. Die logische Folge war eine Zeitstrafe. Adanir zeigte sich sichtlich getroffen, erholte sich aber schnell und war, wie bereits in der vergangenen Woche, ein gut haltender Rückhalt. „In der ersten Halbzeit haben wir noch gut verteidigt und hatten auch einen guten Can Adanir im Tor“, zollte auch Klatt seinem Keeper Respekt. Aus der Überzahl konnten die Michel & Co. allerdings keinen Profit schlagen. Im Gegenteil – nach Zeitstrafen gegen Janko Kevic und kurz danach Josip Eres, war das Spiel zum ersten Mal in einer entscheidenden Phase. Auf 11:8 (17.) zogen die Ruhrpöttler davon. Zu diesem Zeitpunkt hätte man schon zwei Fernsehsendungen beginnen können, deren Ausstrahlung sich leider bis zum Spielende hinzog: „Ferndorf sucht den Innenblock“ und „Ferndorf sucht die richtige Formation“. Klatt probierte viel, doch es kristallisierte sich keine Sieben heraus, die es an diesem Abend mit den Essenern aufnehmen konnte. Einem in dieser Phase überragend agierenden Janko Kevic war es geschuldet, dass die Ferndorfer Jungs nicht schon frühzeitig abreißen lassen mussten. Der kroatische Alt-Internationale führte die Seinen wieder zurück ins Spiel und beim 12:12 (24.) war alles wieder offen. Doch statt eine der vielen Chancen zur Führung zu nutzen, haderten die Jungs in Weiß mit dem Spielgerät. Zu sehr Flummi, zu viel Harz – dass gleichzeitig die Jungs in Rot bestens mit diesem Ball klarkamen, macht die sich nun häufenden technischen Fehler nicht besser. Adanir hielt die Seinen mit vielen Paraden im Spiel und somit auf Schlagdistanz. Doch da im Angriff zu viel verworfen wurde und man immer noch auf der Suche nach der funktionierenden Formation war, ging man mit einem 14:12 in die Pause. Essens Coach Daniel Haase sagte nach dem Spiel: „Eine junge Mannschaft hat immer Wellen in ihrem Spiel. Doch wir haben diszipliniert und leidenschaftlich verteidigt und damit auch das Publikum mitgenommen!“
Man hatte sich ganz sicher viel vorgenommen für die zweite Spielhälfte. Doch Ferndorfs Hoffnungen ließ TuSEM Linksaußen Tim Mast mit zwei und Kreisläufer Christian Wilhelm mit einem Treffer binnen 100 Sekunden zur Makulatur werden. 17:12 zeigte die Anzeigetafel und die Jungs aus der Ruhrpottschmiede bogen bereits auf die Siegerstraße ein. Doch Taktgeber Kevic mit viel Esprit auf dem Feld, und Trainer Klatt mit der ein oder anderen technischen Finesse, versuchten dem Essener Angriffsschwung beizukommen. In der 36.Minute dann ein Novum. Zum ersten Mal im Spiel wurde ein Ferndorfer Angriff bilderbuchmäßig auf die Außenspieler abgeräumt. Viana bedankte sich. Und als Ferndorfs Linksaußen auch noch zum 20:17 (41.) Anschluss traf, war zum ersten Mal so etwas wie Tempo im Ferndorfer Spiel. Doch das leidige Thema der technischen Fehler führte zur nächsten Wellenbewegung – 23:18 (45.) und Klatt nahm mit einem Team-Time-Out so etwas wie die letzte Ausfahrt. Vorne fehlte der Esprit, hinten fehlte es an Bewegung und Wille und zu guter Letzt bekam man durch das fehlende Tempo die Essener Abwehr nie so wirklich in Bewegung. Und eine Abwehr, die nicht in Bewegung versetzt wird, offenbart nun mal auch keine Lücken. Und so taten sich die Ferndorfer Jungs weiterhin schwer, Angriffe in Torerfolge umzumünzen. Alle Personalrochaden verpufften ebenso wirkungslos, wie auch der Versuch mit 7:6 zum Torerfolg zu kommen. Zwischenzeitlich saßen beide Linkshänder im Rückraum auf der Bank und Klatt probierte es mit einem Rechtshänder auf der halbrechten Position. Und auch wenn dieses Spiel zu etwas mehr Tempo und Inspiration führte, war dieser Abend nicht zum Geschichte schreiben gemacht. Die schrieb nämlich inzwischen ein anderer. Dennis Wipf im Essener Tor, Neuzugang von Pfadi Winterthur aus der Schweiz, vernagelte seinen Kasten, hielt alles was auf sein Tor kam und schlich sich somit auch in die Köpfe der ganz in Weiß gekleideten Siegerländer. Anfangs der Crunch-Time hatte Essen sogar die Chance auf acht Tore wegzuziehen. Doch der Abstand schmolz wieder auf fünf Tore, auf mehr ließen die Haase-Schützlinge den TuS allerdings nicht mehr herankommen. Essen spielte, wie im gesamten Spiel, seine Angriffe geduldig aus und wartete auf sich bietende Chancen. Während auf Seiten des TuS viel zu oft überhastet Fehler produziert wurden. Und dass diese zweite Liga nicht nur von der Begrifflichkeit knüppelhart wird, davon „durfte“ sich auch Kevic überzeugen, der immer wieder hart angegangen wurde und zum Schluss hin auch kapitulierte. Und während Klatt von „einem verdienten Essener Sieg“ sprach, kam sein Pendant Haase nicht mehr aus dem Loben heraus: „Das ist auch das, was ich von der Einstellung her sehen will. Und ich denke, dass sieht am Ende auch attraktiv aus.“
„Wir können es kommenden Freitag schon besser machen!“ Acht Worte Klatts die eindeutiger nicht sein könnten. Denn in einer Liga, in der jede Woche 100% gefragt sind, hallen Niederlagen zwar nach, aber man hat meist innerhalb weniger Tage die Chance, den Fauxpas auszubügeln und es besser zu machen. Wenn es einen gab, den man aus der Pauschalkritik herausnehmen musste, so waren das mit Sicherheit die Ferndorfer Fans. Viel zu wenige in der Zahl, wenn man an die letzten Auftritte im Sportpark Am Hallo denkt, aber wieder einmal mit unerschütterlichem Support bis in die Schlussminute. Und so galt der Dank der Mannschaft nach dem Spiel denjenigen, die sich trotz vieler Staus über Stunden hinweg nach Essen gequält hatten. Am kommenden Freitag gastiert der Altmeister aus Großwallstadt in der Stählerwiese. Dabei kommt es auch wieder ganz speziell auf den Faktor Hexenkessel an. Die Mannschaft wird insbesondere bei Heimspielen punkten müssen, wenn es am Ende zum Klassenerhalt reichen soll. Und die Klatt-Schützlinge wollen gegen Großwallstadt da weiter machen, wo sie gegen Dormagen aufgehört haben. Dazu bedarf es aber auch wieder dem bedingungslosen Rückhalt durch die Siegerländer Handballfans.
Tore: Janko Kevic (6), Gabriel Viana (5), Daniel Hideg (3), Hampus Dahlgren, Josip Eres (je 2/1), Valentino Duvancic, Julius Fanger, Mattis Michel, Marvin Mundus, Paul Schikora (je 1)
Fotos: M.Lehmann