Ein Handballspiel dauert sechzig Minuten. Wäre am Freitagabend in Coburg nach dreißig Minuten Schluss gewesen, hätte man den Mannen von Coach Ceven Klatt eine kämpferisch aufopferungsvolle Leistung, mit einem herausragenden Can Adanir im Tor, bestätigt. Leider konnten die zweiten dreißig Minuten dann nicht mehr mit den gezeigten Leistungen aus Hälfte Eins mithalten. „Man konnte förmlich spüren, dass die Energie auf dem Feld immer weniger wurde“, wollte Klatt seinen Jungs aber keinen Vorwurf machen. Eine Stunde zuvor war eine Partie in Nettelstedt-Lübbecke angepfiffen worden, die maßgeblichen Einfluss auf das Saison-Abschneiden der Siegerländer Jungs hatte. Die HSG Nordhorn gewann ihr Match in N.-Lübbecke und stürzte die Gastgeber ins Tal der Tränen. Endgültig gerettet ist der TuS Ferndorf, Stand Samstagvormittag, noch nicht. Und die sportliche Fairness gebietet auch weiterhin, noch keinen Schlussstrich unter die Saison 2024/25 zu ziehen. Denn auch wenn inzwischen schon eine ganze Horde Pferde vor der Apotheke auftauchen müsste, so ist die Messe halt noch nicht endgültig gelesen.
Ferndorf-Sprechchöre zu Beginn des Spiels ließen erahnen, dass auch im bayrischen Coburg wieder eine große Anzahl TuS-Fans die lange Reise auf sich genommen hatte. Und die sahen, wie auch die Zuschauer im Stream bei DYN, eine vogelwilde Anfangsphase mit vielen technischen Unzulänglichkeiten auf beiden Seiten. Bis auf das 2:1 (5.) legte die TuS-Equipe immer ein Tor vor. Erster Zungenschnalzer dann in der 12.Minute, als Janko Kevic den Mann am Kreis, Valentino Duvancic, mit einem Traumanspiel bediente. Der Abwehrverbund der Mannen vom Kindelsberg kämpfte in dieser Phase unermüdlich. Man hatte das Gefühl, durch die Verletztenmisere sei das Team nochmal enger zusammengerückt. Jeder machte in der Abwehr noch einen Schritt mehr, so dass den Coburgern das Zusammenspiel mit dem Kreis fast unmöglich gemacht wurde. Duvancic organisierte den Deckungsverbund gemeinsam mit Marko Vignjevic im Innenblock. Auf den Halbpositionen deckten Malte Nolting und Gabriel Viana. Doch über allen thronte der Zerberus zwischen den Pfosten – Adanir spielte eine formidable erste Halbzeit, vielleicht sogar seine beste Halbzeit in dieser Saison. Vignjevics Treffer aus dem Anwurfkreis ins verwaiste Coburger Tor zum 6:7 (18.) war der Auftakt zu fast sieben Minuten, in denen hüben wie drüben keine Treffer fielen. Mehrfach hatten die Rot-Weißen die Chance auf zwei, oder sogar drei Tore wegzuziehen. Doch auch der griechische Nationalspieler in Diensten der Gastgeber, Petros Boukovinas, spielte sich im HSC-Tor immer mehr in den Vordergrund. In der 24.Minute hatte allerdings die Adanir-Show ihren Höhepunkt erreicht. Zwei Tempogegenstöße von Florian Billek hatte Adanir schon gehalten. Als er dann auch noch einen Siebenmeter der scheidenden Coburg-Legende, samt Nachwurf“ hielt, war dem Coburger Rechtsaußen die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Dieser Teufelskerl im Ferndorfer Kasten schien kaum zu überwinden. Beim 8:7 (26.) legten die Gastgeber mal wieder vor. Eine Szene die das Spiel treffend beschreibt dann in der 28.Minute. Innerhalb weniger Sekunden warfen beide Teams unbedrängt den Ball in des Gegners Arme. Es war zeitweise ein wahres Fehler-Festival in der HUK-COBURG arena. Und so ging es mit einem leistungsgerechten 10:10 in die Pause.
Mit einem Aufreger begann die zweite Hälfte. Der nach dem Spiel, mit großer Kapelle verabschiedete Billek nahm sich mit dem ersten Siebenmeter in Halbzeit Zwei seinen sechsten freien Wurf. Diesen warf er Adanir aber ins Gesicht, was regeltechnisch richtig mit der roten Karte bestraft wurde. Doch statt eines Vorteils für Ferndorf, entwickelte sich die rote Karte Billeks eher zum Vorteil für Coburg. Seine Mitspieler schienen nun für Billek den einen Schritt mehr zu machen, den in der ersten Halbzeit noch die TuS-Equipe gegangen war. In der Abwehr der Gastgeber klappte das Zusammenspiel der Abwehr mit dem Keeper von Minute zu Minute besser. Und was Adanir in Hälfte Eins für den TuS war, war Boukovinas in Halbzeit Zwei für Coburg. Nach 35 Minuten war beim 12:12 die Ferndorfer Welt noch in Ordnung. Doch in den kommenden vier Minuten legten die Schwarz-Gelben mit dem 16:12 den Grundstein für ihren Erfolg. Auf Seiten der Nordsiegerländer häuften sich, aufgrund der eingangs angesprochenen, immer leerer werdenden Akkus, die technischen Fehler und Unzulänglichkeiten. Boukovinas lief im Coburger Kasten heiß. Und zu guter Letzt landeten nun alle Fivty-Fivty-Entscheidungen bei den Gastgebern. Man haderte mit den Entscheidungen der Referees, verwarf aber auch zu viele freie Bälle. Boukovinas schien seine Arme überall zu haben, so dass das Pendel des besseren Torwartspiels, mit zunehmender Spieldauer immer mehr in Richtung der Unterfranken ausschlug. „Wir spielen eine starke Abwehr in der ersten Halbzeit. Aber nach vorne war das über die sechzig Minuten viel, viel, viel zu wenig“, war Klatt mit den Entscheidungen im Angriffsspiel alles andere als zufrieden. In Minute 49 war Coburg auf 21:15 enteilt. Klatt versuchte mit seiner dritten Auszeit nochmal gegenzusteuern, doch die Michel & Co. konnten dem Spiel keine Wendung mehr geben. Zwei kleine Highlights aus Ferndorfer Sicht gab es dennoch. Zum einen kam Tim Hottgenroth zum Einsatz und hielt in seiner ersten Aktion sofort einen Siebenmeter. Und zum anderen gab es das Zweitliga-Debut des erst 17 Jahre alten Max Löher. Aktuell spielt er in der Ferndorfer A-Jugend eine herausragende Rolle. Und am Freitagabend durfte er vor 2657 Zuschauern in der zweithöchsten deutschen Spielklasse debütieren. Am Ausgang des Spiels änderte all das nichts mehr. Nach sechzig Minuten stand ein 28:19 auf der Anzeigetafel. Ein glänzend aufgelegter Adanir und ein aufopferungsvoll kämpfendes Team waren am Ende zu wenig. Die Verluste durch Verletzungen in den letzten Wochen waren zu groß, als das man über sechzig Minuten mithalten könnte. Und so gilt es, die Saison am kommenden Samstagabend mit Anstand zu beenden.
Gegner am letzten Spieltag ist Grün-Weiß Dankersen Minden. Und für die Gäste aus Ostwestfalen geht es noch um Alles. Der Aufstieg ist noch in greifbarer Nähe. Und wer weiß, vielleicht feiert am Ende nicht nur der TuS Ferndorf den Klassenerhalt in dieser verrückten zweiten Liga, sondern die Gäste aus der Stadt mit der großen Handballtradition auch den Aufstieg in die Beletage des deutschen Handballs. Wer dabei sein will muss sich sputen. Sitzplatz-Tickets sind seit Tagen ausverkauft. Es gibt aber noch Stehplatz-Billets. Es wäre ein Zeichen an Klatt und sein Team, wenn die Stählerwiese zum Schluss der Saison zwei Mal ausverkauft wäre. Auch ein Zeichen an die Kritiker, die glauben, dass der Handballsport nicht dauerhaft 1400 Zuschauer in den Kreuztaler Hexenkessel lockt. Dabei haben die TuS-Fans einen gehörigen Anteil am Klassenerhalt. War es doch ein ums andere Mal die lautstarke Stählerwiese, die in manchem Heimspiel das Pendel zugunsten des Heimteams hat ausschlagen lassen. Seien Sie also ein letztes Mal in der Saison 2024/25 dabei, wenn es erstmals heißt: Alle dabei beim Klassenerhalt in Liga Zwei!
Tore: Valentino Duvancic, Josip Eres, Julius Fanger (je 4), Marko Vignjevic (3), Hendrik Stock (2), Janko Kevic (1), Hampus Dahlgren (1/1)
Fotos: Tamay Adanir und HSC Coburg / 2. HBL