Mentale Stärke – eine Begrifflichkeit, die im Sport immer mehr an Bedeutung gewinnt. Und auf der einen Seite gab es am Samstagabend in der Kreissporthalle Lübbecke ein Team, welches in der Vorwoche den Mitaufsteiger aus Konstanz im heimischen Hexenkessel Stählerwiese geschlagen hatte. Und auf der anderen Seite eine Mannschaft, die vor Saisonbeginn ganz oben mitspielen wollte, dann einen langen Negativ-Flow hatte und in der Vorwoche die höchste Niederlage der Zweitliga-Geschichte erlitten hatte. Neudeutsch spricht man viel von „confidence“, dem Vertrauen in die eigene Stärke. Und dieser Part sollte nach den Ergebnissen aus der Vorwoche doch ganz klar auf Seiten der Michel & Co. liegen.
Und es ging auch gut los für den TuS Ferndorf. In der Kreissporthalle Lübbecke, wo am Freitagabend noch das Spitzenspiel zwischen GWD Minden und dem Bergischen HC stattgefunden hatte, zeigten sich die Jungs aus dem Siegerland endlich einmal von Beginn an hellwach. Dabei setzten die gastgebenden Nettelstedter die ersten Akzente. Vor 1474 Zuschauern gingen die Rot-Schwarzen, angeführt vom ehemaligen Bundesliga-Spieler Lutz Heiny, mit 3:1 in Führung. Doch die Mannen vom Kindelsberg kamen schnell zurück ins Spiel. Josip Eres, einmal von Außen und einmal vom Siebenmeter-Strich, sorgte für den Ausgleich. Im Anschluss legte die TuS-Equipe immer wieder eins vor. Bis zum 6:7 in der 16.Minute war die Ferndorfer Welt in Ordnung, wie auch Chefcoach Ceven Klatt nach dem Spiel befand: „Wir kommen gut ins Spiel und sehen eine ausgeglichene Anfangsphase. Durch notwendige Wechsel kommt dann ein Bruch ins Spiel. Ja und dann, dann kommen ganz schlechte zwölf Minuten!“ Klatt spricht die Phase zwischen der 17. und 29. Minute an. Aus einem 6:7 machten die Ostwestfalen, in den angesprochenen, vermaledeiten zwölf Minuten, ein 13:8. Trotz der lautstarken Unterstützung von rund fünfzig TuS-Fans, die auch über die Außenlautsprecher immer wieder deutlich zu hören waren, gab die Mannschaft in diesen zwölf Minuten ein wahrhaft schlechtes Bild ab. Kreisläufer-Anspiele auf äußerst dürftigem Niveau, zu große Lücken im Abwehrverbund und dadurch bedingt auch keinerlei Quote beim im Stich gelassenen Can Adanir im Ferndorfer Kasten. Die sonst oft gelobte Ferndorfer Deckung war nicht schnell genug auf den Beinen, zeigte viel zu selten die von Klatt eingeforderte Galligkeit und auch zu Stopfouls reichte es nicht. In der 20.Minute hatte Ferndorfs Coach eine Auszeit genommen, in der er all diese Probleme ansprach. Freilich, die Worte des Trainers fielen auf keinen fruchtbaren Boden. N.-Lübbeckes Keeper Leon Grabenstein stand nach gut zwanzig Minuten bei 46% gehaltener Bälle. Adanir hingegen bei gerade einmal 16%. Auch das versuchte der Coach zu ändern und brachte Jonas Wilde. Der hielt in den zehn Minuten vor der Halbzeit was zu halten war, doch auch das brachte keinen positiven Impact auf seine Vorderleute. Die Hoffnung der Fans vor Ort und den zahlreichen Zuschauern vor den TV-Geräten lag auf der Halbzeitansprache Klatts.
Und wahrhaftig – nach zwei schnellen Toren des Gastgebers zum 15:8 (32.), schickte selbiger ein Einladungsschreiben an den TuS Ferndorf zur Teilnahme am Spiel. Aufgrund der bis dahin gezeigten Leistung fast ungewöhnlich, dass sich die Michel & Co. dieser Einladung annahmen und ihrerseits nun am Spiel teilnahmen. „Acht Tore in 32 Minuten sind definitiv zu wenig. Nettelstedt spielt eine gute Abwehr. Aber wir haben auch zu viele Fehlwürfe und sehr schlechte Quoten aus dem Rückraum, wo ich dann versucht habe der Mannschaft mit dem siebten Feldspieler zu helfen“, gab Klatt einen Einblick in den Matchplan, der zwischen der 32. und 41.Minute auch hervorragend funktionierte. Der Abwehrverbund der Siegerländer funktionierte nun besser. Man zog Stopfouls und auch Wilde hielt weiterhin mit einer hohen Quote. Im Angriff knabberte man Tor für Tor vom Vorsprung der Ostwestfalen ab. Über 16:11 (35.) und 18:14 (38.) war die TuS-Equipe beim 18:16 wieder voll im Spiel. „Wenn wir da auf ein Tor rankommen, spielt es sich für N.-Lübbecke erheblich schwerer“, trauerte Klatt dem Momentum nach rund einer Dreiviertelstunde hinterher. Julius Fanger traf nur den Innenpfosten. Gabriel Viana vergab einen freien Ball von Außen. Hampus Dahlgren einen Tempogegenstoß. Und zu allem Überfluss scheiterte der sonst so sichere Eres sowohl im Nachwurf des gehaltenen Dahlgren-Gegenstoßes, wie auch kurz darauf von der Siebenmeter-Marke. Die Gastgeber, angeführt vom inzwischen eingewechselten Kapitän Jo-Gerrit Genz, trafen nun auch wieder aus dem Rückraum, was dem TuS Ferndorf an diesem Abend komplett abging. Einfache Tore aus der zweiten Reihe – Fehlanzeige! Schon eingangs der Crunch-Time war das Spiel so gut wie entschieden. Aus dem 18:16 hatten die Rot-Schwarzen ein 23:18 (51.) gemacht. Am Ende war man machtlos gegen einen Gegner, der das Spielglück auch ein Stück weit mehr erzwungen hat. Während man bei den N.-Lübbeckern über weite Strecken das Gefühl hatte, dass sie sich der Bedeutung des Spiels bewusst waren, hätte man sich auf Seiten der Klatt-Mannen viel häufiger das sprichwörtliche Messer zwischen den Zähnen gewünscht. Die im Vorfeld vom Trainer eingeforderte Galligkeit und Giftigkeit in den Zweikämpfen war viel zu selten zu sehen. Ein insbesondere bei diesen Attributen vorneweg gehender Fabian Hecker hätte vielleicht geholfen. Doch ein grippaler Infekt forderte hier ebenso seinen Tribut wie beim nicht einsatzfähigen Hendrik Stock. So konnte man zum Ende des Spiels hin nur ein wenig Ergebniskosmetik betreiben. Marvin Mundus kam noch zu den einzigen beiden Toren von Halbrechts und holte den letzten Strafwurf heraus, den Eres nach Ablauf der Spielzeit zum 27:24 Endstand verwandelte.
Ergebniskosmetik – ein Begriff, bei dem man früher milde gelächelt hat. In dieser verrückten zweiten Liga aber ist das wichtiger als je zuvor. Denn wer könnte leidvoller davon berichten wie wichtig das Torverhältnis ist, als der TuS Ferndorf. Nicht noch einmal möchte man aufgrund einiger zu wenig erzielter Tore, oder einiger zu viel kassierter Tore das Klassenziel verfehlen. Und so war die Ergebniskosmetik durchaus wichtig in Bezug auf die Tabelle. In der belegen die TuS-Jungs vor den Sonntags-Spielen den elften Rang. Bliebe es bei der aktuellen Ausgangssituation träfen die Klatt-Mannen am 22.März um 19:30 Uhr auf den Ex-Club des sportlichen Leiters Michael Lerscht, den Tabellenzehnten ASV Hamm. Da ab diesem Datum ein knüppelhartes Programm, mit sage und schreibe sechs Spielen in 27 Tagen folgt, braucht die Mannschaft einmal mehr den Schulterschluss mit den Siegerländer Handballfans. Gerade daheim müssen die noch fehlenden Punkte nach der Eichhörnchen-Methode eingesammelt werden. Deshalb auch der dringende Aufruf an die TuS-Fans. Alle gemeinsam zum Klassenerhalt in Liga Zwei. Es gibt noch genügend (Stehplatz-)Tickets für das Hamm-Heimspiel. Gänsehaut-Atmosphäre ist garantiert, wenn es wieder heißt: Alle dabei für den Klassenerhalt in Liga Zwei!
Tore: Josip Eres (8/2), Julius Fanger (4), Mattis Michel, Gabriel Viana (je 3), Valentino Duvancic, Janko Kevic, Marvin Mundus (je 2)
Fotos: M.Lehmann