Es sind schon so viele Phrasen bemüht worden. Im Vorfeld des Südwestfalen-Derbys, während des Spiels und auch in den Diskussionen nach dem Match. Dabei bleibt ein Vergleich hängen, der zur aktuellen Situation des TuS Ferndorf im Allgemeinen und Julius Fanger im Besonderen passt – die Geschichte von Dr. Jekyll & Mr. Hyde. Der gebürtige Gummersbacher mit der Nummer Acht wandelt oft zwischen den Extremen. Doch auch die gesamte Mannschaft wirkte am Donnerstagabend in der Hagener Ischelandhalle anders als in den Wochen zuvor. Jeder hat für seinen Nebenmann das letzte Hemd auf der Platte gelassen und ist über die Schmerzgrenze hinausgegangen. On top haben sich die Michel & Co. von einer Atmosphäre tragen lassen, die für Auswärtsfans in der zweiten Liga sicherlich einmalig ist. Was knapp 200 Ferndorf-Fans an Unterstützung fürs Gastteam in die Ischelandhalle gezaubert haben, hat die altehrwürdige Halle ganz, ganz lange nicht mehr erlebt. In diese Lobeshymnen stimmte auch Coach Ceven Klatt ein: „Eine tolle Unterstützung, die uns gefallen und auch geholfen hat. Das Fahnenmeer vor dem Anwurf war toll, ebenso wie die Unterstützung über die sechzig Minuten!“ Dieses Gesicht des Dr. Jekyll darf die Mannschaft gerne auch bei den letzten Spielen des Jahres, gegen Coburg am 21.Dezember und in Minden am zweiten Weihnachtsfeiertag, zeigen.
Es begann nicht optimal für die Siegerländer. Hagens Rechtsaußen Pierre Busch zauberte einen Ball zum 1:0 an Can Adanir vorbei. Zwar gelang Daniel Hideg postwendend der Ausgleich, doch in den ersten zehn Minuten legten die Gastgeber vor, während die Klatt-Mannen erst einmal nur reagierten und remisierten. Über 3:1 (8.) und 5:3 (10.) nahm das Spiel Fahrt auf und die Abwehr der Rot-Weißen funktionierte immer besser, was den Coach nach dem Spiel zu wahren Lobeshymnen verleitete: „Das war eine Abwehrleistung nahezu am Optimum!“ Und wahrlich, die Männer aus dem handballverrücktesten Dorf Südwestfalens wuchsen an ihren Aufgaben. Beim 5:6 und 6:7 hatte man nach einer Viertelstunde erstmals die Führung erobert, die man nach zwei kurz aufeinanderfolgenden Zeitstrafen gegen Gabriel Viana und Daniel Hideg allerdings wieder abgeben musste. Einige Umstellungen verliehen dann dem Ferndorfer Abwehrverbund noch mehr Stabilität. Marko Vignjevic und Valentino Duvancic spielten einen überzeugenden Innenblock. 10:10 stand es nach 24 Minuten als dann der spielentscheidende Wechsel vorgenommen wurde. Jonas Wilde, der zu diesem Zeitpunkt bereits wieder einmal seiner Spezialdisziplin, dem Halten von gegnerischen Siebenmetern, erfolgreich nachgekommen war, übernahm von Can Adanir. Und was dieser Teufelskerl im Laufe der folgenden 35 Minuten alles hielt, veranlasste auch seinen Trainer zu einem Extralob. Seine ersten Paraden waren zugleich seine spektakulärsten – erst nahm er Busch einen Siebenmeter weg, um dann auch noch den Nachwurf von Norouzinezhad zu halten. Kopf an Kopf ging es anschließend Richtung Halbzeitsirene. Vignjevic setzte noch zwei Ausrufezeichen aus dem Rückraum, so dass die Michel & Co. mit einer 12:13 Führung in die Halbzeit gehen konnten.
Fanger, der am Sonntag noch mit seinem Spiel haderte und Bindung suchte, war in Hagen nicht wiederzuerkennen. Zwischen der 32. und 37.Minute brillierte er mit drei Anspielen, die allesamt mit dem Prädikat Weltklasse versehen waren. Zu der Abwehrleistung in der zweiten Halbzeit fand dann der Coach die passenden Worte: „Taktische Disziplin, Helfersituationen – wir haben es Hagen richtig schwer gemacht.“ Die Marschroute, lange Angriffe zu spielen und die technischen Fehler zu minimieren ging über sechzig Minuten voll auf. Zwei Mal Viana, der ebenfalls ein Sonderlob seines Trainers einheimste, und Duvancic sorgten beim 14:17 in der 38.Minute für die erste Drei-Tore-Führung. Bei zwei bis vier Toren pendelte sich die Führung der Siegerländer ein. Alles schien nach Plan zu laufen. Man spricht beim Fußball oft von optischem Übergewicht. Und das hatten nun die TuS-Jungs. Wären da nicht die unheilvollen Minuten 45 und 47 gewesen. Erst kassierte Kapitän Mattis Michel die dritte Zwei-Minuten-Strafe, was als Konsequenz die rote Karte nach sich zog. Und dann griff Duvancic dem Hagener Norouzinezhad in den Wurfarm. Direkte rote Karte gegen Ferndorfs zweiten Kreisläufer sowie Ferndorfs zweiten zentralen Abwehrspieler. 17:20 – noch rund vierzehn Minuten zu spielen und den Rot-Weißen fehlen beide Kreisläufer und man agiert in doppelter Unterzahl. Sollte das der Zeitpunkt werden, an dem das Spiel in Richtung des Heimteams kippt? Mitnichten, denn Klatt nahm eine Auszeit und ordnete die Dinge neu. Vier Rückraumspieler sollten es von nun an richten. Und die fanden auch immer wieder Lösungen. Eingangs der vielbeschworenen Crunch-Time netzte der am Ende ohne Fehlwurf auskommende Fanger zum 18:22. Eine weitere Klatt-Auszeit nutzte der Coach, um den 1,98 mtr. Hünen Vignjevic an den Kreis zu beordern. Die Situation ging auf und der Serbe in Diensten des TuS Ferndorf traf zum 19:24 (53.). Als sich dann Wilde mit seiner elften Parade auszeichnen konnte waren die ersten „Derbysieger“ Sprechchöre aus dem prall gefüllten Gästeblock zu hören. Entschieden war das Spiel in der 56.Minute. Ein Wurf von Marvin Mundus konnte Hagens Keeper Maurice Paske halten. Der Abpraller schien sicher in den Händen Norouzinezhads. Doch Vianas unglaublicher Wille, gepaart mit dem dazugehörigen Spielglück, bescherte dem TuS-Rechtsaußen den Ball, welchen er zum 20:26 in die Maschen wuchtete. Die vier Minuten bis zum Spielende waren dann eine einzige rot-weiße Glückseligkeit. Die Protagonisten in den Weihnachts-Trikots spielten es souverän herunter, während der Fanblock stehende Ovationen bereithielt für die Derbysieger. Bezeichnenderweise machte der beste Feldspieler den Deckel drauf – Fanger mit seinem siebten Treffer zum 24:29 Endstand.
Über eine Woche dürfen sich die Derbysieger nun am Status „Südwestfalens Nummer Eins“ erfreuen. Dann geht es am 21.Dezember weiter mit der Punktejagd. Beim letzten TuS-Heimspiel im Jahre 2024 ist der HSC 2000 Coburg zu Gast. Mit den Gästen aus Oberfranken haben die Klatt-Mannen noch eine Rechnung offen. In der 1.Pokalrunde unterlag man den Coburgern im August 31:35. Und wenn den Michel & Co. eines gelungen ist, dann ist es die Werbetrommel nochmal kräftig zu rühren. Denn für das Coburg-Spiel gibt es nur noch Stehplatz-Tickets. Und wie könnte man Derbysiegern einen passenderen Empfang bereiten, als mit einer ausverkauften Stählerwiese. Also, man sieht sich am Samstag, 21.Dezember um 19:30 Uhr im Hexenkessel. Dann heißt es wieder: Alle dabei in Liga Zwei!
Tore: Julius Fanger (7), Daniel Hideg (5), Marvin Mundus (4), Gabriel Viana, Marko Vignjevic (je 3), Josip Eres (3/1), Mattis Michel (2), Valentino Duvancic, Hendrik Stock (je 1)