Es gibt diese Spiele, bei denen man schon im Vorfeld um die Schwierigkeit der Aufgabe weiß. Und dies nicht nur rein in Bezug auf die sportlichen Qualitäten. Auswärtsmannschaften kommen seit Jahrzehnten mit einer gehörigen Portion Respekt in die Stählerwiese, weil bekannt ist, welch ungeheure Wucht das TuS-Wohnzimmer entfachen kann. Zu solchen Hallen, die eine gewisse Dynamik entwickeln können, gehört zweifelsfrei auch die Heimstätte des Longericher SC. Dass aber nun auch diese hohe Auswärtshürde übersprungen wurde zeigt, welch tolle Entwicklung das Team unter Coach Ceven Klatt in den letzten Monaten genommen hat.
Siebzig bis achtzig TuS-Fans hatten sich auf den Weg gemacht, um die Michel & Co. im Kölner Stadtteil Neu-Longerich zu unterstützen. Es war eine eindrucksvolle Atmosphäre in der Sporthalle der Carl-von-Ossietzky-Sporthalle. Und um es vorweg zu nehmen. Über die volle Distanz sorgte die Anhängerschaft aus dem Siegerland für tolle Stimmung und ein kleines bisschen Hexenkessel-Atmosphäre im Rheinland.
Bereits vor dem Spiel war die hohe Emotionalität, die diesem Spiel beiwohnte, nahezu greifbar. Der Ferndorfer Spielerknäuel zur Motivation vor Spielbeginn dürfte selten so laut gewesen sein wie am Samstagabend. Kapitän Mattis Michel eröffnete den Torreigen. Nach zwei Treffern von Josip Eres stand es 2:3 (5.), als Gabriel Viana seine erste Zwei-Minuten-Strafe quittieren musste. Da durch den Ausfall Alexander Reimanns nun eine Vakanz auf der Linksaußen-Position herrscht, kam in Situationen wie diesen Linus Michel zum Einsatz, der seine Aufgabe gut löste. Das 4:6 (9.) war dann wieder einmal eine Fanger/Michel-Kombination. Julius Fanger, bester Ferndorfer an diesem Abend, war extrem spielfreudig und versuchte immer wieder die Kreisläufer in Szene zu setzen. Bereits in der Frühphase der Partie war erkennbar, dass die TuS-Abwehr extrem beweglich auf den Beinen war, gut verschob und auch immer wieder Nadelstiche gegen die Angreifer des Longericher SC setzen konnte. In Kombination mit einem guten Rückzugsverhalten konnte so die Dynamik im Spiel der Hausherren gut eingebremst werden. Dass auch im Angriff immer wieder die richtigen Entscheidungen getroffen wurden, zeigte sich beim 8:11 (17.) durch Eres und beim 9:13 (19.) durch Valentino Duvancic. Bei Eres‘ Tor nutzte man die Lücke auf Rechtsaußen, da der Linksaußen Longerichs nach seinem Anschlusstor noch jubelnd durch die Halle lief. Und bei Duvancics Treffer war es wieder einmal die hervorragend funktionierende Kleingruppe Rückraum/Kreis, die immer wieder für helle Aufregung im Kölner Deckungsverband sorgte. „Wir haben die 5:1 Abwehr von Longerich super bespielt, haben uns das aber auch unter der Woche im Training erarbeitet“, war Klatt voll des Lobes über die Trainingsarbeit seiner Jungs und das perfekte Umsetzen der Lerninhalte im Spiel. Da es immer wieder über die beiden Kreisläufer Duvancic und Michel ging, wurden deren Trikots im Laufe des Spiels, im wahrsten Sinne des Wortes, auf eine Zerreißprobe gestellt. Fünf Kreisläufer-Tore in Halbzeit Eins sprechen eine klare Sprache für die Effektivität der Beiden. Die TuS-Equipe stand nun gnadenlos auf dem Gaspedal und spielte sich zeitweise in einen kleinen Rausch. Auch Marvin Mundus, in seinem ersten Einsatz nach langer Verletzungspause, durfte sich beim 11:18 (26.) in die Torschützenliste eintragen. Dass es nach einer Auszeit Klatts beim 11:20 (29.) „nur“ mit einem 13:21 in die Halbzeit ging, fällt unter die Kategorie Schönheitsfehler, wie auch der Coach nach dem Spiel anmerkte: „Wir spielen eine nahezu perfekte erste Halbzeit!“
Bis zum 14:22 in der 33.Minute war die Ferndorfer Welt also in Ordnung. Doch die nun gnadenlos offensiv agierende Longericher Abwehrformation schmeckte den TuS-Spielern gar nicht. Begünstigt durch technische Fehler en masse gestattete man den Gastgebern einen 4:0 Lauf. Klatt stellte für diese Phase nach der Halbzeit seinem Team ein eher ernüchterndes Zeugnis aus: „Wir agieren undiszipliniert. Mit unseren „unforced errors“ haben wir den Gegner unnötig stark gemacht“. Eine Auszeit des TuS-Coaches ordnete die Reihen wieder und man besann sich auf das Ausspielen der eigenen Stärken. „Wir haben eine solch mentale Stärke. Da müssen wir gar nicht so übereifrig und hektisch agieren“, wusste der Coach nur allzu gut, dass sein Team die Qualität besitzt, das Spiel nicht kippen zu lassen. Doch mit der Longericher Aufholjagd wurde auch das Publikum zum Faktor. Beim 21:24 (43.) waren es nur noch drei Tore Vorsprung. Doch dann kam die Souveränität eines Tabellenführers zum Tragen. Im Stile einer echten Spitzenmannschaft besann man sich fortan wieder auf die eigenen Stärken. Jonas Wilde im Ferndorfer Kasten hielt drei Bälle in Folge und im Angriff lief es wieder. Angetrieben von einem stark aufspielenden Fabian Hecker auf Halbrechts, waren es nun vornehmlich die jungen Wilden, die das Spiel an sich rissen. Fanger, Duvancic und Paul Schikora auf Rechtsaußen sorgten für einen umjubelten 0:5 Lauf. Somit war zehn Minuten vor dem Ende das Spiel entschieden. Mit einem 21:29 ging es in die Crunch-Time, die aufgrund der individuellen Stärke der Ferndorfer Mannschaft nichts mehr an Spannung zu bieten hatte. Einzig eine unnötige Rangelei auf Spielfeld und Rängen in der 57.Minute war überflüssig wie ein Kropf, wie es auch Klatt richtigerweise umriss: „So eine Auseinandersetzung gehört nicht in eine Handballhalle!“. Die Hauptprotagonisten der Rudelbildung auf dem Spielfeld, Janko Kevic auf Ferndorfer und Malte Nolting auf Longericher Seite, wurden zurecht mit Hinausstellungen bedacht. Kevic mit einer roten Karte und Nolting mit seiner dritten Zeitstrafe und daraus resultierendem roten Karton. Der Rest des Spiels hatte nur noch statistischen Wert. Schikora, belebendes Element im TuS-Spiel, setzte mit dem 28:35 den Schlusspunkt unter eine emotional brisante Partie, die alles zu bieten hatte.
Nun gilt die Konzentration der Mannen vom Kindelsberg der hohen Auswärtshürde in Hanau. Ein Bus wird das Team begleiten, so dass zum wiederholten Male ein herausragender Fan-Support zu erwarten ist. Natürlich wollen sich die Spieler des Tabellenführers weiterhin schadlos halten. Denn der Blick geht bei dem ein oder anderen natürlich schon Richtung 23. März. Dann kommt es nämlich zum Gipfeltreffen der beiden besten Teams der 3.Liga Süd-West in der Krefelder Glockenspitzhalle. Doch nach einer zielgerichteten Trainingswoche heißt es kommendes Wochenende erst einmal: Auf nach Hanau – alle dabei für Liga Zwei!
Tore: Julius Fanger (7), Josip Eres (7/4), Valentino Duvancic (5), Fabian Hecker, Janko Kevic (je 4), Mattis Michel, Paul Schikora (je 3), Marvin Mundus, Gabriel Viana (je 1)
Fotos: A.Domian